Interview, erschienen in der Januar-Ausgabe des DTS
 

Sie mussten 2002 durch ein Wechselbad der Gefühle. Gipsarm, zwei Eingriffe am Schlagarm, dazwischen Wiedereinstiegsversuche, die allesamt wegen neuer Schmerzen abgebrochen werden mussten. Nach 12-monatiger Verletzungspause muss Ihnen Ihr langersehntes Comeback wie eine Erlösung vorkommen?

Absolut. Es ist ein unglaubliches Gefühl, im Training zu belasten und keine Schmerzen mehr zu spüren. Ich bin auf einem sehr guten Weg und fühle mich topfit. Seit acht Wochen steigere ich mein Trainingspensum täglich. In der Intensität und Schlaghärte bin ich ­ bei absoluter Schmerzfreiheit ­ wieder praktisch bei 100 Prozent angelangt. Im Trainingsumfang habe ich mich durch dosierte Steigerungen mit immer wieder neuen Belastungstests ebenfalls wieder dem Maximum angenähert. Zunächst stehen internationale Aufgaben an: Anfang Januar werde ich in den Super Circuit in Japan einsteigen und anschließend die Croatian Open spielen. Und ich freue mich natürlich riesig, in Deutschland beim Europe Top 12 Anfang Februar in Saarbrücken dabei zu sein. Ich fiebere meinem Comeback regelrecht entgegen.

Was hat nach dieser langen Zeit zu einer Genesung geführt?

Ausschlaggebender Faktor war und ist sicherlich mein Wille, diese psychisch und mental schwierige Zeit in meinem Leben zu meistern. Im Jahr 2002 habe ich sehr viel gelernt, und vieles in meiner Einstellung zum Leben hat sich dabei verändert. Zudem waren alle medizinischen Eingriffe sinnvoll, weil sie vorhandene Probleme behoben haben. Dr. Müller-Wohlfahrt hat mit der Halswirbelsäule den Auslöser für die Schmerzen entdeckt, als keiner mehr Rat wusste. Zusammen mit einem gezielten Aufbauprogramm in der Reha sowie dem dosierten Training am Tisch bin ich jetzt wieder soweit, große Ziele in Angriff zu nehmen. Meine Ärzte ­ Müller-Wohlfahrt, Prof. Krahl in Essen und Dr. Lohrer in Frankfurt ­ haben mir sehr geholfen und ein gutes Team gebildet.

Haben Sie zwischendurch irgendwann an das Karriere-Ende gedacht?

Nein, nie... Ich war immer optimistisch, dass ich es noch schaffen kann. Ich will selbst entscheiden, wann ich meine Karriere beende und nicht durch eine Verletzung fremdbestimmt sein. Das hätte mich ungemein getroffen. Aber es hat mir in diesen Wochen und Monaten sehr gut getan zu erfahren, dass viele an mich denken. Es sind sehr viele, auch überraschende Angebote an mich herangetragen worden. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass sich auch nach dem Karriere-Ende, das irgendwann einmal kommen muss, interessante Perspektiven bieten. Aber im Moment ist dies alles kein Thema für mich, denn ich möchte gerne noch eine ganze Zeit spielen.

 

In solch schwierigen Zeiten trennt sich auch bei Freundschaften oft die Spreu vom Weizen. Mussten Sie das auch erleben?

Ja, leider. Es ist schon eine bittere Erfahrung, wenn man spürt, dass manche nicht mehr zu einem stehen oder nicht mehr an einen glauben. Man lernt in einer solchen Situation die wahren Freunde nicht nur kennen, sondern auch noch mehr zu schätzen. Aber insgesamt haben die positiven Erfahrungen bei weitem überwogen. Ich habe viel Rückhalt erfahren. Gute Freunde und das Elternhaus standen immer an meiner Seite. Auch aus Düsseldorf, wo ich viele Jahre gespielt habe, sind unglaublich viele positive Reaktionen gekommen, vom gesamten Verein, aber auch aus dem Umfeld. Meine Mannschaft und Trainer Helmut Hampl in Gönnern haben immer zu mir gehalten, immer an mich geglaubt und mir den Rücken gestärkt. Auch ältere Freundschaften zu anderen Spielern, auch international, sind in dieser Zeit wieder viel intensiver geworden. Das alles hat mir sehr geholfen, und es war mit Sicherheit eine sehr einschneidende und wertvolle Erfahrung für mein Leben.

Ihre Freude über das Comeback wurde Anfang Dezember getrübt. Der Liga-Ausschuss wies den Protest Ihres Vereins ab und stufte Sie für die Rückrunde hinter Timo Boll, Danny Heister und Slobodan Grujic nur an Position 4 ein. Damit spielen Sie erstmals seit 1986 nicht im Spitzenpaarkreuz der Bundesliga. Wie hart trifft Sie das?

Sehr hart ­ und das in zweierlei Hinsicht. Es trifft mich sportlich, weil ich körperlich wieder topfit bin. Ich bräuchte nun besonders dringend wieder viele Wettkämpfe gegen internationale Topspieler, um bei Europa- und Weltmeisterschaften in guter Form wieder eine Rolle für Deutschland spielen zu können. Ich bin aber auch persönlich sehr enttäuscht: Als Spieler, der viel für den Tischtennissport in Deutschland und insbesondere auch für die Bundesliga bewegt hat, hätte ich mir in dieser Situation eine andere Behandlung gewünscht. Ich hätte gedacht, dass man irgendwann etwas von dem zurückbekommt, was man über so viele Jahre geleistet hat. Mir nun die Matches, bei denen ich als verletzter Spieler kampflos für meinen Verein an den Tisch gegangen bin, als negative Bilanz auszulegen und damit für die Umstellung zu votieren, kann ich nicht nachvollziehen. Eine andere Auslegung wäre im Bereich des Handlungsspielraumes des Ausschusses möglich gewesen, aber das hat man dort anscheinend aus verschiedenen Gründen nicht gewollt. Jeder, der mich kennt, weiß, wie schnell ich durch meinen ungemeinen Willen nach Verletzungen zu alter Leistungsstärke zurückkehren kann. Ich hätte mir gewünscht, dass der Liga-Ausschuss mit einer anderen Entscheidung ein Zeichen gesetzt und signalisiert hätte, dass die Bundesliga nach einer solch schwierigen Situation hinter mir steht.

Beeinträchtigt diese Entscheidung Ihre Zielsetzung für das Jahr 2003?

Natürlich nicht. Aber ich denke, dass mich der ständige Wettbewerb mit den internationalen Topspielern schneller voran brächte. Aber ich werde mich auch gegen alle Widerstände Schritt für Schritt an meine alte Leistungsstärke heran arbeiten. Ich möchte mir einen Platz für die Teams erobern, die der DTTB zu den Europameisterschaften nach Courmayeur und zu den Weltmeisterschaften nach Paris schickt. Mein Traum ist es, Mannschafts-Europameister zu werden. Dieser Titel fehlt mir noch, und er würde mir sehr sehr viel bedeuten. Darüber hinaus möchte ich 2003 die Direkt-Qualifikation für die Olympischen Spiele 2004 in Athen in schaffen und damit zum fünften Mal in Folge bei Olympia antreten.

Sie waren vor Ihrer Verletzungspause die Nummer 1 im Nationalteam, der Kopf der Mannschaft. Jetzt müssen Sie sich zunächst hinter Timo Boll einordnen...

Das ist kein Problem für mich. Aber ich werde unabhängig von meiner Leistungsstärke versuchen, wieder der Motor des Teams zu werden. Ich weiß auch, dass eine solche Führungsrolle von mir erwartet wird, und für mich ist es selbstverständlich, sie zu anzunehmen. Das jetzige Team ist ungemein stark und hat enorme Perspektiven, aber die Spieler spüren auch, dass eine gereifte Persönlichkeit mit großer internationaler Erfahrung fehlt. Einer, der auch mal den Mund aufmacht, wenn es nötig ist. Einer, der in der Vorbereitung Gas gibt und motiviert. Unabhängig davon, ob er der Typ dazu wäre oder nicht: Timo Boll, der sportlich schon ein echter Führungsspieler ist, kann das mit seinen 21 Jahren gar nicht alles allein leisten. Ich denke, dass in einer solchen Konstellation schon bei der EM 2002 mehr drin gewesen wäre als Platz 2. Ich will mit dem Team nun unbedingt 2003 in Courmayeur Gold holen.

Ganz Deutschland spricht seit Monaten nur noch von Timo Boll. Dahinter gibt es aber eine Zahl an starken jungen Spielern, die alle mit Ihnen um wenige EM- und WM-Fahrkarten kämpfen. Welche Perspektiven sehen Sie für das deutsche Tischtennis?

Das deutsche Tischtennis ist auf einem sehr guten Weg. Mit Timo Boll haben wir einen absoluten Topstar, dazu mit mir einen Leitwolf, der in der Weltspitze alles erreicht hat, mit Torben Wosik noch einen weiteren sehr erfahrenen Akteur. Und ­ in alphabetischer Reihenfolge ­ mit Zoltan Fejer-Konnerth, Lars Hielscher, Thomas Keinath, Bastian Steger und Anderen verfügen wir über einen Kreis von sechs, sieben jungen, teilweise noch sehr, sehr jungen und ehrgeizigen Spielern. Sie alle begreifen langsam, wo es lang geht und wie international der Hase läuft. Sie haben eine sehr gute Entwicklung hinter sich, und alle können sich noch enorm verbessern. Ich denke, dass wir uns in dieser Konstellation auf Dauer eine Vormachtstellung in Europa erarbeiten können. Aber auch bei Weltmeisterschaften können wir um Medaillen spielen und, wer weiß, vielleicht ja sogar 2006 in Bremen um Gold...?

Timo Boll nimmt in der Januar-Weltrangliste als erster deutscher Spieler überhaupt die Position 1 in der Welt ein. Haben Sie mit seiner kometenhaften Entwicklung gerechnet?

Wir alle, die ihn kennen und besonders die, die täglich mit ihm arbeiten und trainieren, wussten, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er die Nummer 1 werden kann. Ich habe immer gesagt, dass er ein Spieler ist, der das Zeug zum Weltmeister hat. Die Geschwindigkeit, mit der er nun an die Weltspitze gerast ist, war allerdings so nicht vorhersehbar. Timo ist so gut und so stabil geworden, dass es für mich selbst in absoluter Topform kaum möglich wäre, ihn zu bezwingen. Er hat ein traumhaftes Jahr hinter sich und steht absolut verdient an der Spitze der Weltrangliste.

Sie sind als ungemein ehrgeizig bekannt. Hat es sie nie gestört, dass jemand sie überholt und sich anschickt Dinge zu erreichen, die selbst einem der erfolgreichsten Spieler der Welt nie gelungen sind?

Nein, damit habe ich überhaupt kein Problem! Ich bin ungemein stolz auf die Dinge, die ich erreicht habe und hoffentlich noch erreichen werde. Aber Timo hat, das muss man einfach anerkennen, fraglos mehr Talent als ich. Wir alle in Deutschland können nur froh sein, dass er so schnell mein Erbe angetreten hat und dass praktisch keine Lücke entstanden ist. Er ist ein feiner Kerl, und ich freue mich, dass ich vielleicht durch unsere Zusammenarbeit in Gönnern auch einen kleinen Teil zu seiner schnellen Entwicklung beigetragen habe. Durch meine Einstellung zum Training und zum Sport hat er sicherlich einige wichtige Dinge gelernt. Er ist auch jemand, der sehr gut zuhören kann und Dinge, die für ihn wichtig sind, aufnimmt. Wir haben einen sehr freundschaftlichen Kontakt, das ist mehr als nur großer Respekt voreinander.

Was raten Sie Timo Boll für dessen weitere Entwicklung?

Nach einem solchen Jahr werden sicherlich auch einmal vereinzelte Rückschläge folgen. Oder eben einfach wichtige Turniere, die er nicht gewinnt. Wenn sie kommen, muss er lernen, solche Niederlagen wegzustecken. Kein Spieler der Welt kann dauernd alles gewinnen, so wie ihm das 2002 gelungen ist. Er steht nun, weil er sehr erfolgreich und sehr viel gespielt hat, verdient an Nummer 1. Er ist jetzt der Gejagte: Um bei den großen Turnieren in Topform zu sein, muss er künftig Prioritäten setzen. Er wird auf Dauer auf jeden Fall weniger spielen müssen, als er das jetzt getan hat. Er muss sich seine Termine sehr gut aussuchen, und wenn er spürt, dass sein Körper müde ist, vielleicht sogar auch einmal kurzfristig eine Veranstaltung absagen. Ich habe viele Jahre den gleichen Fehler gemacht und zuviel gespielt. Und Timo ist jemand, der noch mehr als ich seine Ruhe- und Trainingsphasen benötigt.

Denken Sie, dass Timo Boll in Deutschland einen Tischtennis-Boom auslösen kann? Zumindest die Medien-Beachtung ist deutlich gestiegen...

Ja, aber die Medien-Beachtung dreht sich nur um Timo Boll, nicht generell um Tischtennis. Ich glaube, dass ein Boom, wie er 1989 bei der WM in Dortmund durch den Gewinn der Goldmedaille im Doppel durch mich und Steffen Fetzner ausgelöst wurde, für die Gesamtsportart nicht erreicht wird. Aktivitäten im Marketingbereich wären da dringend nötig. Man hat einen neuen Superstar, nun muss man auch versuchen, ihn zu präsentieren. Da sind mir keine neuen Ideen bekannt: Wann sieht man denn Timo Boll in Deutschland? Bundesliga, Europaliga, German Open ­ das ist alles. Man müsste neue Wege versuchen, um etwas zu erreichen: Warum nicht beispielsweise Schaukämpfe in Deutschland organisieren, wie beispielsweise DTTB- oder Europa-Auswahl mit Boll gegen China? Oder ihn einfach mal in einer Großstadt mit einem Event präsentieren. Er spielt immer in Gönnern, wo kaum ein Hesse hinkommt. Warum ihn nicht mal in Frankfurt präsentieren?

Aber der Terminkalender ist jetzt schon übervoll...

Das ist schwierig, aber es würde die Menschen in die Halle holen. Der Terminkalender jetzt ist auch nicht viel anders als vor zehn Jahren, und in zehn Jahren wird er auch nicht kleiner geworden sein. Man muss einfach auch einmal sagen, dass die Spieler ja auch nicht an allen Veranstaltungen teilnehmen müssen. Je nachdem, was man will, muss man seine Prioritäten setzen. Das wird auch eine Entwicklung sein, die die Bundesliga betrifft. Immer mehr Spieler werden Verträge machen, die nur noch eine bestimmte Anzahl an Spielen für ihren Verein vorsehen.

Sehen Sie auf die Bundesliga ernsthafte Probleme zukommen, auch durch Konkurrenz-Veranstaltungen wie den Super Circuit in Japan oder die chinesische Liga?

Ich denke, die Bundesliga sollte Konzepte entwickeln, die aktuelle Entwicklungen berücksichtigen. Es hat sich nicht viel bewegt in den letzten Jahren: In der besten Liga der Welt spielen weniger Spitzenspieler als früher, es kommen zu wenige Zuschauer. Die Spielereinkommen sind vielfach durch das Bosman-Urteil und die wirtschaftliche Situation auf bis zur Hälfte von den Gehältern vor zehn Jahren zurückgegangen.

Haben Sie konkrete Vorschläge?

Man muss versuchen, eventuell über ein neues Spielsystem mehr Spannung zu entwickeln. Die Einführung von Doppel-Spieltagen sollte kein Tabu sein, denn dann wäre die Bundesliga auch wieder für mehr Spitzenspieler interessant. Wenn das nicht passiert, könnten Probleme kommen. In der nächsten Saison beispielsweise liegt der Spielplan des Super Circuit in Japan fast parallel zu dem der Bundesliga. Und dort kann man viel mehr verdienen.

Wieviel mehr?

Nun, Timo Boll, der sicherlich der Topverdiener in der Bundesliga ist und der als bodenständiger Typ in Gönnern noch einen Vertrag bis 2005 hat, könnte sicherlich bei seinem Niveau in Japan das Drei- bis Vierfache verdienen, und selbst die Millionengrenze wäre nicht unerreichbar.

In welchem Bundesligatrikot spielt Jörg Roßkopf in der nächsten Saison? Bei seinem alten Klub in Düsseldorf?

Keine Ahnung, wo ich nächstes Jahr spiele... Nein, im Ernst: Mir liegen, für mich überraschend, einige gute Angebote vor. Eines davon kommt aus Düsseldorf, das stimmt. Ich denke, dass bis Ende Januar eine Entscheidung fällt. Dann will ich selbst Klarheit haben.

Am Anfang eines Jahres kann man immer gut in die Zukunft schauen? Welchen Weg geht der Tischtennissport?

Die Neuregelungen seit 2000 mit größerem Ball und neuer Zählweise sind gut angenommen worden, hingegen hat die neue Aufschlagregel kaum eine Veränderung gebracht. Hier muss man eindeutig Verbesserungen schaffen. Derzeit gibt es in Asien einen Run auf Tischtennis, besonders in China und in Japan. Europa muss unbedingt aufpassen, nicht den Anschluss zu verpassen, auch sportlich. Nur Boll ist derzeit eine wirklich ernsthafte Konkurrenz. Selbst Vladimir Samsonov ist derzeit keine wirkliche Gefahr für die Chinesen. Europa muss sich deshalb Maßnahmen überlegen, wie es gemeinsam konkurrenzfähig bleiben kann. Nicht nur durch Timo Boll in Paris.

 

Interview: Manfred Schillings

Entnommen der Zeitschrift deutscher tischtennis-sport, mit freundlicher Genehmigung des PHILIPPKA-SPORTVERLAGS, Münster.