Eberhard Schöler: ein Spiel für die Tischtennis-Geschichte

Das Spiel, das von Experten einst als "das wahnsinnigste, das es je gegeben hat" bezeichnet wurde, mag vielen nicht mehr in Erinnerung sein; und jüngere Menschen haben vielleicht noch nie davon gehört. Die beiden aber, die diese Begegnung in der neuen Sporthalle im Tivolipark zu Ljubljana bestritten, werden sich ewig daran erinnern.

Sechs Chinesen, ein Japaner und ein Europäer hatten bei dieser Veranstaltung vor 37 Jahren, im damaligen Jugoslawien als SPENT verkauft, das Viertelfinale erreicht. Dass ausgerechnet das Spiel zweier defensiv eingestellter Künstler die anderen rasanten Duelle der Angreifer ausstechen sollte: Wer hätte das gedacht?

Zdenko Uzorinac, Kroate, einst selbst Nationalspieler und längst einer der namhaftesten unter den Sportpublizisten dieses Kontinents, zeichnete in einem seiner Bücher diese Momentaufnahme: "Gerade hat man Eberhard Schöler, der im fünften Satz nach zehn Minuten 2:1 geführt hatte, dann aber gegen Chang Shih-Lin beim Seitenwechsel 10:15 zurücklag, später 10:11 und 13:17, schon abgeschrieben. Doch dann ergreift er mit einer Kaltblütigkeit, die ihresgleichen sucht, selbst die Initiative, schießt eine glasharte Vorhand nach der anderen ab - und führt 20:19. Danach: abermals Gleichstand. Die Zuschauer sind längst von ihren Sitzen aufgesprungen, sind wie im Fieber, während an den anderen Tischen - völlig regelwidrig - die übrigen Spiele unterbrochen werden. Keiner der beiden großen Gegner will kapitulieren. Beide spielen einfach phantastisch. Matchbälle scheinen ihren Wert verloren zu haben."

Zwei Stunden sind zu diesem Zeitpunkt bereits gespielt, zwei Stunden mit fünf Sätzen, die alle, wie es der gleichfalls renommierte deutsche Sportjournalist Adolf Hüngsberg schrieb, "über die Zeit gingen, in denen schließlich der bessere Angreifer gewinnen mußte. Am Ende war der Sieger fertig wie ein Boxer, der in der 15. Runde eines WM-Kampfes viermal bis 9 am Boden ist sich mühsam erhebt und seinen Gegner mit einem Kernschuß K.o. schlägt."

Die Schlußphase war an Dramatik nicht mehr zu überbieten, und Hans Wilhelm Gäb, der heutige Ehrenpräsident des DTTB, damals selbst als Sportreporter tätig, formulierte es so: "Die Entscheidung läßt aber noch auf sich warten: Der Chinese setzt den Ball unannehmbar an die Tischkante, und durch die 10.000 in der Halle ging ein Schrei des Mitleids für Eberhard Schöler, der erst den Sieg vor Augen hatte und nun durch einen lächerlichen Zufallsball von einem blinden Schicksal gestraft zu werden schien."

Die Zuschauer freilich stimmten ihre "Bravo Europa, Bravo Europa"-Sprechchöre an; ein Klatschmarsch dröhnte durch die Halle. Die Sympathien waren klar verteilt; und sollten nicht, wie schon zweimal zuvor, erneut ausnahmslos Chinesen auf dem Podium unter sich sein, dann mußte jetzt die Devise lauten: Alles oder nichts.

Der Spielfilm in Zahlen: 22:21, Ausgleich, 23:22, dann rutscht ein Ball von der Netzkante zurück, erneut Ausgleich, ein mißglückter Schußversuch, 23:24. Die Zuschauer, so stand es damals in der Zeitschrift Deutscher Tischtennis-Sport "drehten sich um, wollten den Siegball des Chinesen, der ja jetzt kommen mußte, nicht mehr sehen." Doch sie kannten Changs Gegner schlecht, "der nun den Schnitt wechselte und Changs Angriff im Netz landen ließ. Hätte es einen Spannungsmesser gegeben, er wäre durchgeschlagen." Mit einer Rückhand wehrte der Mann aus Shanghai erneut einen Matchball ab: 25:25.

Der folgende Ballwechsel wird so schnell nicht in Vergessenheit geraten - und der DTS sollte damit recht behalten: "Nun mußte Chang zunächst wieder abwehren, einmal, zweimal, dann ein gefährlicher Topspin. Der Ball trudelte dem Chinesen entgegen - und der schlug vorbei. Fünfter Matchball. Chang schlug diesen über die Rückhandecke ins Aus." Von orkanartigem Beifall begleitet gingen beide aus der Box.

Noch einmal Hans Wilhelm Gäb: "Es war ein Moment, in dem der Gewinner nur noch ein elendes Häufchen Mensch war, weinend, lachend, zitternd und noch lange nachher hilflos unter dem Eindruck dieses elementaren sportlichen Dramas."

Eine halbe Stunde später nur mußte Schöler das Halbfinale bestreiten, in dem er gegen den legendären Chuang Tse-tung dann allerdings keine Chance mehr hatte.

Ljubljana brachte dem Düsseldorfer den ersten ganz großen Erfolg seiner Karriere; es sollten sich noch viele weitere anschließen. Schölers Name wurde zu einem Synonym für unseren Sport. Bedacht mit der Barna Trophy, einem angesehenen Fair play-Preis, der höchsten Sportauszeichnung seines Landes, genießt er noch heute Respekt und Ansehen - und sein Wort ist nicht nur in seinem Heimatverband gefragt, sondern auch bei der ETTU und der ITTF.